ARS – eine Geschichte voller Mißverständnisse!?

Im Tanelorn-Forum hat ein recht neuer User, Morningstar, die Frage gestellt, „Was ist eigentlich ARS?“. Daraufhin folgte eine recht fruchtbare, lesenswerte Diskussion.

Mir selbst hat der ARS-Begriff durchaus geholfen während der letzten zwei, drei Jahren herauszufinden, was ich eigentlich genau an Rollenspiel mag – auch wenn ich das als Momentaufnahme sehe – sowie insbesondere, was ich nicht mag und auch nicht mögen werde.

Skyrock, ARS’ler der ersten Stunde, hat kurz die Entwicklung des Begriffs ARS aus seiner Sicht zusammengefasst – und auch, warum er bitter nötig war. Mit seinem Segen hier der geschichtliche Abriß zu ARS:

Den Anfang genommen hat ARS im Onlinediskurs mit Settembrinis Streifzügen im Cthulhu-Forum Ende 2005 (damals noch als „Hofrat Behrens“). Es blieb erst mal noch auf kleine Winkel des Netzes beschränkt (Cthulhu-Forum, Ghoultunnel, Prussian Gamer etc.).

Erst ab Mitte 2006 kam der ARS-Diskurs über Vermis geheimes Forgetheorieforum ins Tanelorn (damals noch Grofafo) getragen wurde, nämlich in diesen Thread: „Mein Problem mit „Abenteuerspielen“ (welcher erst spät gegen Ende produktiv wird, einer der ganz seltenen Fälle, wo ein Thread, der einen schlechten Start hat, nach über 60 Beiträgen doch noch zu sinnvoller Diskussion führt).
Mein erstes ARS-Manifest war dann einfach nur Ausfluss und Zusammenfassung dieses Diskussionsstandes, und fand hier im Tanelorn erst mal wenig Beachtung.

Erst später, als ich auf Wunsch Settembrinis ein Duplikat des Manifests im O.R.K. eingestellt habe, kam der Stein ins Rollen – wahrscheinlich, weil einfach viele Leute, die einerseits dem hiesigen Theoriebereich immer fern waren, andererseits aber aus Settembrinis Kommentaren kein Gesamtbild konstruieren konnten, endlich erstmals eine klarere Vorstellung davon hatten, was dieses ARS sein soll.

Man muss dazu auch wissen, dass die Onlineforen in D damals noch etwas anders aussahen als heute.

WW-Spielchen galten noch als hip, en vogue und modern (was auch daran lag dass hierzulande die erste d20-Welle weitestgehend verschlafen wurde), und die Foren waren voll mit selbsternannten Powergamerjägern und Erzählmeistern, die systematisch abweichendes Gedankengut ausrotteten und unbedarften Fragestellern den Tricky (dot)ty Screwdriver[2] anzudrehen versucht haben. (Siehe etwa Marcus Johanus‘ SL-Tipps und sein Spiel Liquid als wichtige Zeitdokumente, die zwar nicht so hegemoniesüchtig und geiferspuckend wie die PGJs waren, aber doch sich selbst selbstverständlich und allgemeingültig als „eigentliches“ Rollenspiel betrachtet haben).
Hier sind wir bei dem, was abwechselnd als SchErz, als EZ, als Stimmungsspiel bezeichnet wird.

Zu der gleichen Zeit war gerade The Forge mit seinen Theorien und Spielchen diskursdominierend im Tanelorn, zumindest in der tonangebenden und nachdenklicheren Diskussionsführungselite. Ähnlich wie in den Staaten bekam The Forge in erster Linie seinen Fuß in die Tür, indem kräftig auf dem noch dominanten Storytelling rumgehackt wurde. Auf der einen Seite nahm man lahmes und bedeutungsloses Hartwurst-Geschichtenerzählen als schlechtes Beispiel, was dann in etwa so aussah, wie Rasumichin es mal herrlich auf den Punkt gebracht hat:

Ein Alleinunterhalter, der mit schlecht verstellter Stimme in holprigem, gestelztem Marktsprech einstündige Verhandlungen über den Preis einer einzelnen Flasche Lampenöl führen möchte, weil er das mit „anspruchsvoller und authentischer Charakterdarstellung“ verwechselt, ist unerträglich.

Dem entgegen gestellt wurden mitreißende, bewegende und richtige Geschichten erzeugende Erfahrungen mit hippen neuen Forgespiele, alles durch ihre knackig zielführenden Flags und Belohnungsmechanismen, den schnell zum Zielkonflikt hinführenden Spielstrukturen, dem fehlenden Method-Acting, Immersion, Schauspielerei etc., als ein Gegenentwurf, der das erreicht, was vielen unglücklichen Storytellingrunden verwehrt bleibt.
Damit sind wir bei dem, was Settembrini als TRS bezeichnet.

Was da fehlte war ein Gegenentwurf zu allem beiden, wie er in Amerika zu dieser Zeit mit d20 und der Oldschoolwelle vorlag.
Es gab genug deutsche Spieler die von Ausflügen ins Storytelling desillusioniert waren und sich sicher waren, dass da nichts von dem, was sie von einer guten Runde erhofften, zu holen war. Gleichzeitig konnten sie aber auch im TRS nichts finden was nachhaltig begeistern konnte, oder gingen gleich instinktiv auf Abstand zu den damaligen Stake Soil Snake Oil Salesmen („Theorie braucht kein Mensch“, „ohne SL ist es doch kein Rollenspiel“, „mit Bläja Engbauerment machen die Spieler doch nur Quatsch aus der guten Geschichte“ etc.).
ARS war da wahrscheinlich für viele so etwas der lange gesuchte Rosettastein, den man auf seine eigenen Spielerfahrungen anlegen konnte, um zu erkennen was damals im argen lag, als man als Neuling seinem natürlichen Trieb zum Powergaming folgte und dafür vom System bestraft wurde. Für viele wurde damit erstmals der Weg frei zu einer klar definierten Spaßquelle, die man auch erreichen konnte ohne durch jahrelange Selbstfindung in skandinavischen Wäldern eine Freiformerei-Zen-Stufe zu erreichen, oder ohne sich durch das Dreiecksmodell eines Chicagoer Biologen durchzubeißen.
Ich muss das wissen weil ich selbst diesen Weg gegangen bin (ursprüngliches Rollenspiel => EZ => TRS => zurück zu den Ursprüngen mit den ARS-Erkenntnissen), und mir erst durch die vielen spannenden Diskussionen mit gleichgesinnten Hobbyisten wie dem Ghoul, Myrmidon oder auch Settembrini über vieles klar geworden bin, was meinen Spaß am Hobby getrübt hat, wie etwa Hartholzharnische oder handlungsarmer Tavernentratsch.

Heute muss ich sagen, haben wir zumindest im Onlinediskurs dank ARS ein vielfältigeres und damit auch gesünderes und ehrlicher diskutiertes Hobby.
Niemand kann sich mehr unwidersprochen auf eine Obstkiste stellen und würfelloses Rollentheater mit vielen langen Verhandlungen um Lampenöl als einzig richtiges Rollenspiel verkaufen, und fragende Neulings-SLs, denen empfohlen wird, doch den Spielern alles wegzunehmen um ihnen das Powergaming auszutreiben, erhalten Beistand von Leuten, die es heute besser wissen.
Man kann sich heute wieder in Ruhe ARSigen Anliegen wie taktischen Subsystemen als Hausregel oder Dungeondesign widmen, ohne ständig unter Störfeuer zu leiden.
Inwiefern Erzählspiel und TRS davon profitiert haben müssen andere sagen, das sind nicht (mehr) meine Hobbies.

(Anekdote am Rande: Auf dem Brain&Dice im Oktober wurde ich beim Aushängen meiner Runde angesichts meines in Klammer hinzugefügten Handles beim SL-Namen von einem Wildfremden auf das ARS-Manifest angesprochen und gefragt, ob die Runde denn ARS-Stil sei. Das war das allererste Mal, dass ich mit jemandem über das Thema gesprochen habe, ohne meinen Diskussionspartner schon von Netzdiskussionen her zu kennen, und wo die Initiative obendrein noch von außen ausging.
Ich war da erst mal ganz baff, den bislang ging ich davon aus, dass ARS als Konzept nur für ein paar Internetrollos eine Rolle spielt, und eventuell noch für ein paar Verlagsleute, die auf Settembrinis Aussagen reagieren.
Mal sehen wie es in 3,5 weiteren Jahren aussieht, vielleicht sehe ich dann auf dem gleichen Con die ersten Beschreibungen auf den Aushängen, wo statt den üblichen Adjektiven wie „erzählerisch“ von „ARSig“ gesprochen wird…)

Was die Unterschiede zwischen meinem ARS-Begriff, Settembrini-ARS und dem ARS-Verständnis im allgemeinen angeht haben sich ja schon andere geäußert, wenn es keine konkreten Fragen mehr gibt sage ich nichts dazu. Ich bitte besonders darum Vermis Beiträge zu beachten, er hat in der Frühzeit des ARS ausdauernd mit mir und Settembrini u.a. über diese Thematik diskutiert und so viel Einblick.

[2] Ein Teil belgisches Kirschbier Marke „Vitae“, zwei Teile lila Kool-Aid, und ein Spritzer von dem Formaldehyd, mit dem wir im Hinterzimmer Uli Kiesows Hirn konservieren – wenn ich mal die Dead Kennedys falsch zitieren darf.

(Text von Skyrock)

5 Kommentare

  1. Unter ARS verstehe ich:

    „Abenteuer-Rollen-Spiel“. Dabei liegt die Betonung auf Spiel, Rolle und Abenteuer gleichermaßen bzw. gleichberechtigt.
    Abenteuer besteht dabei aus Spannung, Gruseln, Humor, Fremdartigkeit, „Action“, Rätseln und „Beute“.
    Rolle bedeutet das Schlüpfen in eine andere Haut, ohne dabei ein in sich stimmiges Charakterkonzept aus den Augen zu verlieren: „Würde die Art und Weise, wie ich meinen Helden spiele, wirklich innerhalb der Gesetzmäßigkeiten dieser Spielwelt funktionieren?“ Die Rolle sollte dabei nicht um ihrer selbst Willen oder exzessiv gespielt werden, sondern hauptsächlich als „Kitt“ zwischen den Spielern, den Helden und den verschiedenartigen Szenerien und Plots.
    Spiel ist zuerst auch als funktionierendes Gerüst verständlicher Spielmechanismen zu verstehen: den Regeln. Auch Regeln dürfen nicht zum Selbstzweck werden – es muss stets abgewogen werden, ob es unterm Strich Nutzen bringt einen Sachverhalt „zu regeln“ oder nicht. Dabei gelten sie uneingeschränkt sowohl für den Spielleiter wie den Spieler – sie sind „verlässlich“.
    Diesen drei Aspekten des ARS stehen drei Säulen motivierender Plots gegenüber: Herausforderung, Lösung und Belohnung.
    Herausforderungen können dabei vollständig, teilweise oder auch gar nicht lösbar sein. Letzteres sollte allerdings nur aufgrund der Relation der Herausforderung zu den Fähigkeiten der Helden (manchmal auch: Spieler) und nicht aufgrund des Plots der Fall sein. Typische Herausforderungen sind die Rettung der entführten Händlertochter, die Aufdeckung eines Komplotts oder die Befreiung eines Landstriches vom Drachen. Ein deterministischer Abenteuerverlauf mit nur einer vorgesehenen Lösung bzw. einem vorherbestimmten Weg dorthin (sogenanntes „Railroading“) sollte zu erneutem Überdenken anregen.
    Lösung/ Überwindung erfolgt durch den „Witz“ der Spieler und/ oder durch den Einsatz der Fähigkeiten der Helden. Dabei findet sich der „Witz“ z. T. in der „Rolle“ wieder bzw. kommt im „Rollenteil“ des ARS voll zur Geltung. Eine klassische Spielerleistung ist das Durchschauen des Komplotts, eine klassische Heldenleistung das Erschlagen des Drachen.
    Belohnung ist ein wichtiger Bestandteil der Motivation zum Antritt eines Spiels überhaupt. Simpel ausgedrückt: „Ich will gewinnen!“ Dieses Gewinnen drückt sich im ARS auf verschiedene Weisen aus. Seien es im Regelfall die Erfahrungspunkte als Belohnung für den Spieler („Mein Held kann jetzt mehr!“) oder materielle Dinge als Belohnung für den Helden („Alrik, Du armer Hund, hier hast Du!“), so können es aber auch Reputation/ Ruhm, Anerkennung etc. innerhalb der Spielwelt sein oder im einfachsten Falle der Spaß, den ein Spieler aus einem gelungenen Rollenspielabend insgesamt zu ziehen in der Lage ist.

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  2. Pingback: Anonymous

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