[Rezi] Punktown Vol. I (Hörstücke)

Christophorus war mal wieder so frank und frei und hat sich des ersten Teils von Punktown angenommen.

Mit erzählerisch wuchtigen und atmosphärisch beklemmenden Werken wie »Caine« oder »Die Schwarze Sonne« konnte sich das Hamburger Label LAUSCH binnen kurzer Zeit einen Namen im Hörspiel-Sektor erarbeiten. Mit »Punktown« folgt nun die mittlerweile fünfte, nicht minder düstere Produktionsreihe, die um die Gunst anspruchsvoller Hörer buhlt und auf den im Jahre 2000 erschienenen Kurzgeschichten des amerikanischen Autors Jeffrey Thomas beruhen. Und experimentell, wie LAUSCH-Chef Günter Merlau nunmal ist, präsentiert sich »Punktown« auch in einem eher ungewöhnlichen Gewand. Denn statt eines klassischen Hörspiels erwartet den Zuhörer ein Hörstück, bei dem der Fokus auf dem erzählerischen Part liegt und weitere Sprecher nur dezent vertreten sind.

Anstelle einer CD gibt’s derer auch gleich drei, da LAUSCH sich für die Vertonung der Kurzgeschichten »Bibliothek der Leiden«, »Alles aus Liebe« und »Völlig vertiert« entschieden hat. Drei weitere Geschichten fanden jüngst als »Punktown Vol. II« den Weg in den Handel.

Tut nun aber eine weitere Produktionsreihe Not? Und wie …

 

STORY 

Irgendwann in der Zukunft: Die Menschheit hat längst mit der Kolonialisierung fremder Welten begonnen und sich in den unendlichen Weiten des Weltalls ausgebreitet. Eine dieser Kolonien, angesiedelt auf einem Planenten namens Oasis, hat sich binnen weniger Jahre zu einem echten intergalaktischen Schmelztigel entwickelt. Hunderte außerirdische Rassen liefern sich in Paxton, das von seinen menschlichen sowie nicht-menschlichen Bewohnern liebevoll »Punktown« genannt wird, einen andauernden kulturellen und ideologischen Konflikt. Anarchie und Chaos sind an der Tagesordnung. Doch wer genau hinschaut, wird feststellen, das »Punktown« nicht nur ein Sündenbabel wie einst Sodom und Gomorrha ist, sondern auch eine Geburtsstätte des steten Wandels darstellt, in der Freidenker und Kreative ebenso eine Heimat finden wie Radikale und Perverse…

Geschichte 1: Bibliothek der Leiden

 

 Als Jugendlicher bekam Mac Diaz einen Chip implementiert, der ihm später auf dem Arbeitsmarkt erheblich bessere Chancen bieten sollte. So meinten es zumindest seine Eltern, die ihr Erspartes dafür aufgaben und ihrem Sohn die nötige Operation ermöglichten. Jetzt, viele Jahre später, empfindet Mac den Chip eher als Fluch denn als Segen. Denn durch ihn erlangte er ein fotografisches Gedächtnis. Alles, was Mac seitdem zu sehen bekam, wird als nach Bedarf abrufbare Datei gespeichert. Kein Wunder also, dass er schnell einen Job als Profiler bei der hiesigen Polizei bekam und über eine beachtliche Aufklärungsquote verfügt. Doch die Last der Bilder beginnen Mac zu erdrücken, die Grenzen zwischen Realität und Vergangenem scheinen sich zusehends zu verschmischen. Als er dann auch noch einen besonders blutigen und brutalen Fall zugewiesen bekommt, steht der Entschluss für den Polizisten fest: der Chip muss endlich raus… 

Geschichte 2: Alles aus Liebe

 

 

Nimbus und Teal sind schon ein ungewöhnliches Liebespaar. Sie – Nimbus – lebte einst auf der Straße und verkaufte ihren Körper für ein bißchen Geld. Teal hingegen versteht sich als Bohemme, lebt aber auch nur von der Hand in den Mund und von der Großzügigkeit seines Onkels. Jetzt ist Nimbus seine Muse – und durch sie verspricht er sich endlich den großen Durchbruch. Und tatsächlich scheint dieser Zeitpunkt endlich gekommen zu sein, denn bei der Präsentation einer gewaltigen Installation – und zugleich auch dem teuersten und wichtigsten Projekt seines Lebens – zeigt sich das Publikum restlos begeistert. Kein Wunder, stellt Nimbus‘ nackter Körper doch den wichtigsten Bestandteil des Werkes dar. So wird auch der ominöse außerirdische Magnat Darik Stuul auf den Künstler aufmerksam – und unterbreitet ihm ein unmoralisches Angebot. So will er Teal seine Schöpfung für viel Geld abkaufen und sie selbst ausstellen, dafür jedoch auch Nimbus mitnehmen und ihr als bedeutungsvollste Komponente der Installation ein Leben in Saus und Braus bieten. Begeistert willigt das Mädchen ein und ignoriert die Bedenken ihres Lebensgefährten – unwissend, was sie sich und ihrer Beziehung damit antut…

 

Geschichte 3: Völlig vertiert

 

 

Damit hat Yu bestimmt nicht gerechnet: Als Mitglied eines Polizeikommandos hat er den Auftrag, einen außerirdischen Tierschmuggler zu stellen. So weit so gut – doch haben weder er noch die anderen Mitglieder seines Teams eine Ahnung, wie die Rasse, der das Alien angehört, überhaupt aussieht. Also stürmen Yu und seine Partner Russet und Peck auf gut Glück das Mietshaus, in dem sich der Schmuggler verschanzt haben soll. Mit fatalen Folgen, denn es entwickelt sich ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel…

 

KRITIK

Hut ab vor Günter Merlau und seinen LAUSCHern. Es ist nicht nur der Mut zum Experiment, die Traute zum Ungewöhnlichen, die die Hamburger zum Inbegriff einer neuen Hörspiel-Kultur haben werden lassen. Es ist auch die Hingabe zum Minimalismus: Während bei den meisten LAUSCH-Produktionen der erklärerische Part des Erzählers auf ein kaum wahrnehmbares Maß zurückgefahren wurde, um die Geschichten sich selbst tragen zu lassen, ist der Erzähler bei »Punktown« das ausschlaggebende Element. Sprecher und Umgebungsgeräusche wurden bewusst in den Hintergrund gedrängt und finden nur dann Einsatz, wenn es der Atmosphäre dienlich ist; lediglich spartanisch produzierte, aber stets düstere Musik leistet dem Zuhörer permanent Gesellschaft. Die hinterfragenden und gesellschaftskritischen Geschichten von Jeffrey Thomas erhalten somit einen verdammt gut passenden Rahmen, der bedrohlich und beklemmend, aber nie langweilig wirkt. Irgendwo zwischen Hörspiel und Hörbuch angesiedelt, entfaltet das Hörstück einen ungewöhnlichen, fesselnden und ungemein eigenständigen Charme, der zudem mit fantastisch geschriebenen Dia- bzw. Monologen punktet. So wird mühelos eine Science-Fiction-Welt im Kopf aufgebaut, die sich als Mischung aus »Shadowrun« und »Blade Runner« manifestiert.

Ein gutes Händchen hatte LAUSCH auch bei der Auswahl der Sprecher. Bis auf Martin Schleißl, der bei »Alles aus Liebe« dem Künstler Teal seine Stimme leiht, liefern alle saubere Arbeit ab. Schleißl wirkt leider zu sehr überbetont normal, was in etwa wie ein Plausch an der Supermarktkasse klingt. Das passt nicht in’s dunkle Setting und wirkt unprofessionell.

Auch LAUSCH-Dauergast Michael Prelle ist als rüder außerirdischer Geschäftsmann mit von der Partie – und liefert gekonnt auch gleich eine harte Orgasmus-Szene ab.

 

FAZIT

 

Subjektiv betrachtet liefert LAUSCH mit »Punktown« die bisher intensivste Produktion ab: Minimalistisch, aber mit viel Liebe produziert, den Fokus auf das Wesentliche – den erzählerischen Teil – gerichtet und in die verstörenden Werke eines erfolgreichen US-Autors eingebettet, der auf einer Stufe mit Philip K. Dick genannt wird – grandios!

Christoph Memmert

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