[Karneval] Kamingespräch mit Joachim A. Hagen (Artefakt)

Joachim A. Hagen war lange Zeit Autor bei dem Vereinszine Artefakt, bevor er dann selbst dort als Chefredakteur darüber hinaus aktiv wurde. Seinen Vorgänger Christoph Schubert hatte ich kürzlich interviewt, nun steht uns Joachim im Kamingespräch Rede und Antwort im Rahmen des November-Karneval rund um Fanzines (hier die Einladung und dort die gesammelten Artikel)

GK: „Hallo Joachim! Du warst nach dem vor kurzem interviewten Christoph Schubert auch lange Zeit der Herausgeber und das prägende Gesicht Eures Vereinszines Artefakt. Aber schon in der Zeit davor hast Du immer fleißig Artikel beigesteuert. Welches war Deine erste Ausgabe, bei der Du mitgemacht hast und wie kam es dazu?“

JH: „O je, da muss ich weit zurückdenken – und etwas ausgreifen. Zu dem Zeitpunkt war ich noch kein Mitglied des Förderkreises Innovatives Spiel e. V. (FiS), besuchte aber regelmäßig den offenen Spielertreff des Vereins. Einmal leitete ich das „Fadings Suns“-Einstiegsabenteuer „Precious Cargo“, an dem auch Christoph Schubert teilnahm. Bei dieser Sitzung hat mich ein Spieler durch seine Aktionen fast in den Wahnsinn getrieben, weil sich sein Charakter wie ein Elefant im Porzellanladen aufgeführt hat. Ich habe das dann in einem Artikel „Wie mache ich mir einen ganzen Planeten zum Feind“ verarbeitet, und Christoph hat ihn in der Rubrik „Dork Side“ in der Ausgabe Nummer 8 veröffentlicht. Das war 2001.

Ich habe dann erkannt, dass ich mit dem „Artefakt“ die Gelegenheit hatte, selbstgeschriebene Abenteuer einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren, daher habe ich auch immer wieder Artikel eingereicht.“ 

GK: „Welches war dann Deine erste Ausgabe als Chefredakteur und wie hast Du das Konzept des Zines weiterentwickelt?“

JH: „Das war die Nummer 26, wobei ich vorher schon immer mehr Aufgaben, wie das Layout, übernommen hatte. Christoph steckte damals in der Vorbereitungen auf seine Abschlussprüfungen und war für jede Entlastung dankbar.

Es gab allerdings kein Konzept. Ich war froh über jeden Artikel, der eingereicht wurde, und sobald genug Material da war, habe ich eine Ausgabe fertiggestellt. Ich habe mir schon Gedanken über mögliche Konzepte gemacht – zum Beispiel Fan-Material für die „Warhammer 40.000 AD“-Rollenspiele – aber niemanden gefunden, der bereit gewesen wäre, sie zu schreiben. Sofern mir jemand zum Beispiel regelmäßig „Shadowrun“-Artikel eingereicht hätte, wäre „Shadowrun“ unser Schwerpunkt geworden.

Ich wollte vor Allem das Erscheinungsbild des Magazins verbessern, und das ist mir in meinen Augen gelungen. Zudem habe ich das „Artefakt“ immer als eine Art Plattform verstanden, auf der Spieler ihre Arbeiten präsentieren konnten. Es war mir vollkommen klar, dass wir nie ein professionelles Niveau erreichen konnten; darum ging es auch gar nicht. Wenn man im Fanzine-Bereich nicht hemdsärmelig sein kann, wo dann?“

GK: „Letztlich endete die Zeit des Artefakts mit der #30. Wie kam es dazu?“

JH: „Es gab immer weniger Material, das eingereicht wurde. Der Trend hatte sich bereits seit Jahren abgezeichnet, und ohne Malte Möllers Beiträge zu „Shadowrun“ wäre die vorletzte Ausgabe 29 nie rechtzeitig oder zumindest ohne Abenteuer erschienen. Vor der Ausgabe 30 war alles Material, das ich noch in Reserve hatte, aufgebraucht, und es kam fast nichts mehr rein.

Ich hatte in der Zeit sowieso mit beruflichen und privaten Anforderungen zu kämpfen, also war es ein logischer Schritt, kürzer zu treten. Immerhin habe ich in jede Ausgabe des „Artefakts“ bis zu vierzig Stunden Arbeit investiert, manchmal sogar mehr. Daher habe ich den Vereinsvorsitzenden darüber informiert, dass ich zum Jahreswechsel als Chefredakteur abtreten würde, die Nummer 30 irgendwie noch voll gemacht – und dann war für mich Schluss. „

GK: „Du hast ja den direkten Vergleich zwischen der Mitarbeit und dem Herausgeben eines Fanzines – was kam da alles zusätzlichen Aufgaben hinzu?“

JH: „Also, Herausgeber ist im eigentlichen Sinne der Verein gewesen. Als Chefredakteur habe ich natürlich mehr Organisatorisches zu tun gehabt, zum Beispiel ein Angebot bei der Druckerei anfordern, die Druckdaten verrechnen, abgeben und irgendwann die gedruckte Ausgabe abholen und verteilen. Zudem gab es ja auch noch Abonnenten; das hieß wiederum Rechnungen schreiben, die Exemplare verschicken und so weiter. Außerdem habe ich mich noch um Korrekturläufe gekümmert und Leute angesprochen, ob sie nicht Beiträge verfassen wollen.“

GK: „Was macht für Dich die Faszination Fanzine aus – oder anders: Warum hast Du Dir den Stress angetan?“

JH: „In einem Wort: Selbstverwirklichung. Christoph Schubert hat auf eine ähnliche Frage von mir mal geantwortet: Es war die Möglichkeit, Material ungefiltert veröffentlichen zu können. Ich sehe das genauso.

Mit dem „Artefakt“ hatte ich die Möglichkeit, gestalterisch einiges auszuprobieren und herumzuspielen. Ich hatte einfach mehr Spielräume, die ich in meiner beruflichen Arbeit als Mediengestalter nie gehabt hätte. Das war also kein Stress, es war ein Hobby.

Allerdings habe ich festgestellt, dass ich immer weniger zum Schreiben gekommen bin. Irgendwann habe ich mich schwerpunktmäßig nur noch um Layout, Lektorat, Illustrationen, Karten und Verwaltung gekümmert. Schreiben war da einfach nicht mehr drin.“


GK: „Als Fanziner geht man ja vielen Tätigkeiten nach, Artikel schreiben, lektorieren, vielleicht auch illustrieren, mit den Mitarbeitern, Verlägen und Käufern kommunizieren, vielleicht gar selber am Kopierer stehen, oder den Vertrieb organisieren. Hast Du eine Art Lieblingstätigkeit?“

JH: „Ich bin lieber Autor oder Layouter gewesen als Chefredakteur. Ich mag es nun mal, Geschichten zu gestalten. Wahrscheinlich habe ich deswegen auch lieber Abenteuer geleitet als selber zu spielen.“

GK: „Wie sieht es mit einem Lieblingsartikel aus – egal ob ein eigener oder ein im Fanzine gelesener?“

Artefakt #20

Artefakt #20JH: „Nennen wir es mal Beitrag, da es sich nicht um einen Artikel handelt. Christoph war damals Mitspieler in einer Arcane Codex-Runde von mir und erwähnte mal, dass ihm für das Artefakt #20 noch das Titelbild fehlte. Nachdem die Ausgabe ein Spionageabenteuer enthielt, hatte ich einen spontanen Einfall. Ich stattete die Spieler mit Mänteln und Hüten aus meiner Garderobe aus, gab ihnen Spielzeugpistolen, die noch aus der Kinderzeit übrig geblieben waren, lies sie vor eine weißen Wand posen und fotografierte sie. Dann schnitt ich die Personen aus und fügte sie in ein Foto ein, das ich in der Oranienburger Straße in Berlin aufgenommen hatte. Noch ein paar Retuschen, ein paar Effektfilter und eine Schwarzweiß-Umwandlung, dann schickte ich das Bild an Christoph, und er hat es als Titelbild für die Nummer 20 verwendet. Der Mann im Vordergrund ist übrigens unser Chefredakteur höchstpersönlich.

Bei den Rezensenten kam das zwar nicht so gut an, da war von „Photoshop-Spielerei“ die Rede, aber wir hatten trotzdem unseren Spaß.“

GK: „Warst Du auch anderswo in der Szene noch aktiv?“

JH: „Ich habe einige Artikel für Tommy Heinigs eZine „Anduin“ geschrieben. Außerdem bin ich in den „Cthuloiden Welten“ veröffentlicht worden, und in einigen älteren Cthulhu-Quellenbüchern sind auch Beiträge von mir drin.“

GK: „Was machst Du heute und spielst Du heute noch Rollenspiele? Welche?“

JH: „Ich bin beruflich immer noch Mediengestalter, aber in einer anderen Firma. In meiner Freizeit lese ich gerne, schaue fern, fotografiere oder mache 3D-Bilder mit einem Programm namens „Poser“. Das ist wie ein digitales Fotostudio.

Nebenher schreibe ich an einer Science-Fiction-Geschichte. Ich habe im August 2013 damit begonnen, komme aber nur langsam voran. Falls sie jemals fertig wird, dann umfasst sie ca. 60 Seiten Manuskript.

Bei Spielen bin ich von Rollenspiele fast völlig auf Brettspiele umgestiegen. Ich habe kaum noch selber Ideen für Rollenspiele und bringe für ein stundenlanges Spiel nicht mehr die Konzentration auf. 2015 habe ich je einmal „Arcane Codex“ und „Serenity“ – Weltraum-Western nach der Serie „Firefly“ – geleitet. Im Frühjahr bin ich in eine „Das Lied von Eis und Feuer“-Runde eingestiegen; leider kommen wir da seit geraumer Zeit nicht weiter.

Bei mir stehen viele Regelwerke noch ungenutzt oder nur selten genutzt im Schrank, aber mir Fallen immer nach wenigen Seiten die Augen zu, sobald ich versuche, mich einzulesen. Daher spiele ich nur noch alte Systeme, in die ich schnell wieder reinkomme, also „Kult“, „Arcane Codex“ oder „Cthulhu“.“

GK: „Wenn Du heute nochmal ein Fanzine machen würdest, was würdest Du anders machen – oder würdest Du gleich auf ein anderes Medium (Blog, Podcast,…) setzen?“

JH: „Ich fürchte leider, dass gedruckte Fanzines am Aussterben sind. Es gibt ausreichend kostenlose Abenteuer im Internet, und Verlage haben über günstige PDF-Veröffentlichungen bei drivthrurpg.com oder rpgnow.com jetzt die Lücke besetzt, die früher Fanzines eingenommen haben.

Ein Fanzine zu drucken kostet Geld, und eine Finanzierung über Anzeigen von Verlagen bzw. Spieleläden ist in meinen Augen nicht mehr zu machen. Durch das Internet hat sich alles geändert, und die meisten Leute sind heute sowieso im Netz unterwegs; daher würde ich entweder auf einen Blog oder PDF-Veröffentlichung setzen.“

GK: „Als letztes ein Tipp für angehende Jungfanziner! Welche Weisheit kannst Du ihnen mit auf den Weg geben?“

JH: „Heutzutage sollte man sich genau Gedanken darüber machen, welche Zielgruppe man damit ansprechen will und was diese Leute wollen. Dann sollte man sich eine Gruppe Gleichgesinnter suchen und sicherstellen, dass man ausreichend Material zuverlässig bekommt – und zwar langfristig. Vorher lohnt sich ein Gedanke an ein Fanzine gar nicht.“

GK: „Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Einblicke, Joachim!“

Linkliste
Homepage FiS e.V.
Artefakt online (Index)
Chistoph Schubert bei der LORP
Artefaktrezis beim DroSi, aber leider keine mehr zu #8.
Artefaktrezis bei der LORP

 

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